17. Juni 2012

Bulletproof - das Abschlusstraining für den Dreiländergiro

Bin ich bereit? Bereit für 24 Kilometer bergan? 48 Kehren am Stelvio? Für 1.800 Höhenmeter am Stück? Für die höchste Passstraße Italiens? Und mehr noch, bereit für ein 168 Kilometer langes Rennen, das als einer der härtesten Alpen-Marathons gilt?


Am I Bulletproof? Dieses Wochenende soll die Antwort geben.

Nach meinem Wahnsinnsritt beim Velothon würde ich sagen - ja. Aber ich will mir noch den letzten Schliff abholen, eine Woche vor dem Ausflug in die Alpen. Und so beschließe ich, mich dieses Wochenende auf Herz und Nieren zu prüfen.

Kann ich das ab? Bin ich Bulletproof?

In die Höhe ...

Ich beginne am Samstagmorgen und nehme mir vor, den Waseberg mal so richtige ... herzunehmen. 80 Höhenmeter pro Runde. Die 15%-Rampe frisch asphaltiert. Ich starte morgens sehr früh und kämpfe mich zitternd Runde um Runde hoch. Anfangs noch im Regen - was uns nicht hart macht ... und so ...  - später bei feinstem Sonnenschein. Schön leer ist es, bis auf die obligaten Porsche Cayennes. Naja, is halt Blankenese, nech?

Irgendwann habe ich die 10 voll. Kenne ich schon.
Dann die 20, nicht ohne nach der 12ten Runde die obligate Riesenbockwurst von Shell verdrückt zu haben.
Bei der 25ten Überquerung des Wasebergs stehen endlich 2.035 Höhenmeter auf meinem Garmin.


Interessante Wetterlage am Wochenende: Harter Starkwind. Schauer. Hitze. Kälte.

Okay, das hätten wir. Allein 20 Kilometer bei 15% Steigung abgerockt, insgesamt, mit An- und Abreise, komme ich auf 117 Kilometer und knapp 2.200 Höhenmeter.  Wadenschmerzen. Aber gewonnen. Die Vertikale kann also kommen. Bring it on, the Stilfser Joch.


Die Garmin-Daten für das Höhenmetertraining gibts hier.

In die Distanz ...

Heiko, der gestern das Höhenmeter-Training aufgrund dringender Dinge verschieben musste, ist dafür heute auch mit am Start: Wir haben Sonntag, meine Beine schmerzen noch vom gestrigen Angriff auf den Himmel und wir sind verabredet, die RTF der RG Hamburg zu fahren.

Am Start freuen wir uns wie Bolle - das halbe Team SunClass Solarmodule ist anwesend! Zunächst treffen wir Robert von der RG Uni, er sich aber schnell wieder im Getümmel versteckt - und das große Hallo kommt, als uns Ines "Fischchen" über den Weg läuft. Unvergessen unser Kampf beim Rider Man 2011, wo wir eine saubere Teamleistung abliefern konnten und Ines als Belohnung dafür auf dem sensationellen 3ten Platz der Damen-Gesamtwertung strahlen durfte.

Ines "Fischchen" ist am Start: Dann kanns ja nur super werden!

Wir mischen uns in den Startblock A (ja, sie haben hier anscheinend Startblöcke) und verwickeln uns ins obligatorische Rennrad-Chauvi-Gelaber und dabei weiß ich schon ganz genau, dass das heute eine richtig schwere Angelegenheit werden wird. Mir sitzt die Anstrengung von gestern noch in den Knochen.

150 Kilometer? Na, schauen wir mal ... Pünktlich um 9 Uhr geben sie die Strecke frei und wie anzunehmen war, wird von Kilometer 1 an richtig gebolzt. Vorn ziehen sie dermaßen das Tempo an, dass mir sofort Schmerzen durch den brennenden Oberschenkel schießen - "Ach Scheiß drauf!", rufe ich Heiko zu und wir gehen mit.

Schon wieder Head of the Bunch?

Die erste Gruppe, an die 20 Mann, müssen wir nach 10 Kilometern ziehen lassen. Wahnsinn, was die da für eine Speed gehen. "Fahren die nur die 44 Kilometer?". Krass, wer da dran bleiben und dann die lange Strecke fahren will! Wir bleiben bei der zweiten Gruppe, finden uns aber ziemlich schnell an der Spitze der Fahrer wieder.

Das kennen wir schon und da mich - wunderlicherweise - die Schmerzen verlassen haben, beginne ich mit Heiko bereitwillig die Führung unserer Gruppe zu übernehmen. Da wir nach Nord-Osten fahren haben wir den heute richtig krass wehenden Wind von leicht seitwärts. Noch schiebt er.

"Die Rechnung kommt noch ...", meint Heiko.

Er wird Recht behalten.

Team SunClass führt das Peloton an.

Und so mühen wir uns vor den Jungs ab. Behalten über etliche Kilometer die Führung und reiten mit 36, 38 km/h die Wellen südlich von Lübeck, kurz vor Mölln ab. Wunderschön ist es hier: Das Korn steht voll auf den Feldern, noch ist es grün, noch sind auch die Blätter der Bäume so frisch, dass das alles mehr nach Frühling denn nach Sommer aussieht.

Das Wetter sicher ist eher herbstlich: Es stürmt wie im feinsten Oktober am Strand von St. Peter!

Und deshalb halten wir uns ab der ersten bis zur zweiten Pause auch verdientermaßen eher im Mittelfeld unserer Gruppe auf. Sie fahren sofort ungeordnet. Windkante. Warum nur? Fahrt vernünftige Zweierreihen, dann haben wir alle etwas davon! Einige regen sie auf wie Rohrspatzen, ich resigniere - und ziehe wenigstens mit Heiko ordentliches Paarfahren durch. Doch durch die Unordnung geraten wir auseinander. Zwei, drei kräftige Tritte und ich befinde mich irgendwann an Position 3 des kleinen Pelotons.

Als die zweite Pause ausgeschildert ist, biege ich ab und freue mich: Wir werden uns jetzt eine bessere Gruppe suchen: RG Trave oder RG Uni oder besser noch, die Lokomotiven von St. Pauli ...

Heiko steigt aus. Bulletproof und Einzelkämpfer? Oh man!

Doch als ich mich an dem reichhaltigen Büffet labe, ist kein Heiko da. Wo ist der bloß?
"Dein Kumpel hatte einen Kettenriss, das weißte, oder?", sagt ein freundlicher Mitstreiter im Cuneo-Trikot (übrigens ein sauleckerer Italiener auf dem Hamburger Kiez). Nee, wusste ich nicht, woher auch? Dann kommt die SMS: "Kette gerissen!".

Scheiße! Ich rufe Heiko an. Nichts gehört, nichts gesehen, leicht schlechtes Gewissen. Aber was hätte ich auch machen sollen? "Nee, kein Ding. Ich schiebe bis Mölln, ist ja nicht weit", sagt er, "Dann holt mich meine Süße ab." Na, wenigstens glimpflich ausgegangen.

Und wenigstens heute: Und nicht in 7 Tagen mitten im Stelvio-Anstieg.
Tja. Mist. Nun also ohne Heiko weiter.

Meine kleine Gruppe - auf in den Kampf!

Tatsächlich fährt keine größere Gruppe los, also mache ich mich allein auf die Socken. Ich finde schließlich zwei andere Mitstreiter und wir beginnen als Dreiergruppe zu kreiseln. Leider dreht die Strecke nun immer wieder auf Südkurs - Gegenwind!

Er schreit es uns ins Ohr, haut uns den Sauerstoff nur so um die Ohren. Habe ich wieder einen Bremsenfeststeller? Was soll das hier - 19 km/h? Wir beißen und fluchen uns durch die Böen, die uns durch die Lücken der Feldhecken eins in die Fresse geben, als haue uns Mutti richtig gepfeffert eine runter. Alter! Ich bin nach wenigen Kilometern am Anschlag - jetzt rächt sich das hohe Anfangstempo. Aber wenigstens gehts den Anderen auch so.

Wunderbar: Zwei Regenschauer prasseln auf uns danieder. Alles trocknet durch den Sturm-Fön aber nach wenigen Sekunden sofort wieder.

Fahren in permanentem Gegenwind. Kein Spaß. Aber trotzdem geil.

Die Farben heute sind einfach der Hammer! Das satte Grün, angestrahlt von der Sonne, dahinter Schwarz wie beim Weltuntergang dramatisch aufgerissene Wolkenburgen, die über uns hinwegrollen, drohend gefüllt mit jeder Menge Wasser, eine Armada der Feuchtigkeit, getrieben von einigen Windstärken.

Das Antreten gegen den Wind ist pure Vernichtung von Kalorien. Fast kann ich meine Muskeln schreien hören. Die dritte Pause sei gesegnet ... ich rolle auf den Hof und bin einfach nur platt.

150 Kilometer? Heute? Never!

Verdrehte Augen. Komische Wahrnehmung. Vernebelte Gedanken: Leiden im Gegenwind.

Die letzten 40 Kilometer nach der Pause fahre ich komplett allein. Mich überholen ab und zu Mitstreiter, aber ich versuche es erst gar nicht, an ihnen dran bleiben zu wollen: Mehr als 25 km/h sind bei mir nicht mehr drin. Weder Powergel noch Energy-Drink können den Ofen wieder entfachen.

Den Gegenwind ertrage ich mit stoischer Gleichgültigkeit: Jetzt heißt es Zähne zusammenbeißen und ankommen! "Schult den Charakter", und noch mehr Sprüche dieser Art fallen mir ein. Na, ich wollte ja eine Prüfung haben. Hier hab ich sie nun. Die 114er-Runde, die ich (wie anzunehmenerweise 90% der Teilnehmer auch) heute fahren werde, reicht mir - Hut ab vor den Marathonis, die hier heute 220 km abrocken!

Die letzten 5 Kilometer bestreite ich im Sprint mit einem, der mich noch kurz vorher überholen wollte - purer Wille treibt mich dazu, noch einmal mit 35 Schnitt zu polken. Ah, wie sehr freue ich mich, als ich im Ziel ankomme!

Hätte ich heute auch gern gehabt: Windcheater Cervélo S5

Da stehe ich nun mit meiner Schinkenwurst, die ich in Ketchup und Senf ertränke und quetsche mir atemlos den gefüllten Naturdarm in den Mund. Bulletproof? Durchaus. Der Dreiländergiro kann kommen.

Trotz der "nur" 112 Kilometer heute bin ich auf den 31er-Schnitt angesichts dieser brutalen Sturmverhältnisse ganz froh und kann mir im Blick auf das gesamte Trainingswochenende mit 2.100 Höhenmetern am Samstag und heute immerhin knapp 700 hm bei 112 km ein bisschen Stolz nicht verkneifen.

Na dann also - nächste Woche zählt es.
Auf zum Dreiländergiro!


GPS-Daten der RTF gibts hier.


2 Kommentare:

  1. Ich lese ja in schöner Regelmäßigkeit und mit Begeisterung deinen Blog. Hin und wieder muss ich aber ungläubig nachfragen: ist Euch ein Kettenverschluss zu schwer, dass ihr eher ein Aus durch Kettenriss riskiert? Nehmt Ihr auch keinen Schlauch mit?
    Schöne Grüße,
    Chris
    BentBlog.de

    AntwortenLöschen
  2. hi chris,

    danke für deinen comment.

    tatsächlich haben wir für die kette nix dabei: ist ja keine tour. bei so kurzen rennen lohnt das gefummel nicht.

    schlauch und sowas ist natürlich immer dabei.

    viele grüße,
    L

    AntwortenLöschen